Aufzucht von mutterlosen Igelsäuglingen
Herausgeber: Igelfreunde Sachsen-Anhalts e.V.
Erich-Mühsam-Str. 7
06886 Lutherstadt Wittenberg
Ingrid Dorschner
Im August/September besteht vermehrt die Möglichkeit,
dass man bei Bau - oder
Gartenarbeiten usw. auf ein Igelnest mit Jungen stößt.
Wie sieht es dann mit der menschlichen
Hilfe aus? Manche „Fachleute" ( Vertreter von Umweltverbänden,
Wildbiologen, leider auch
manche Tierärzte usw.) raten von einer Hilfeleistung
mit dem Argument ab, das eine Aufzucht
nicht möglich sei, bzw. die Jungen im nächsten
Jahr keine Überlebenschance hätten. Beide
Meinungen sind hinlänglich widerlegt. (Fachliteratur
liegt vor, zu beziehen bei Pro Igel e.V.)
Sollten Sie auf ein Igelnest mit einer Familie stoßen,
stellen Sie fest, ob die Mutter dabei ist.
Ist dies der Fall, sorgen Sie für Ruhe. Bezähmen
Sie Ihre verständliche Neugier und stören Sie
in der Folgezeit die Igel nicht. Stellen Sie in der Nähe
Hunde- oder Katzenfutter und Wasser
bereit, um dem Muttertier die Nahrungssuche zu erleichtern.
Sollten Sie jedoch auf ein Nest mit Jungen ohne Mutter
stoßen, dann helfen Sie! Zugegeben, -
Geduld, Zeit und Sachkenntnis ( die wollen wir Ihnen
mit der vorliegenden Schrift geben)
sind schon nötig. Aber wenn Sie es geschafft haben,
ist es ein Erfolgserlebnis. Was sollten Sie
also tun, wenn Sie Igelsäuglinge finden und sich
überzeugt haben, dass die Mutter sie nicht
mehr versorgt?
1. Bereiten Sie ihnen ein warmes Nest in einem Karton.
Dazu legen Sie die Kleinen auf eine
mit wenig handwarmem Wasser gefüllte (Luft herausdrücken)
und mit Tüchern umwickelte
Wärmflasche und decken sie gut zu. Dazu eignen sich
am besten alte Handtücher, die sich bei
Verschmutzung gut reinigen lassen. Vor dem Schlafplatz
sollte so viel Raum sein. dass die
Igelchen - wenn es ihnen einmal zu warm wird - in einen
kühleren, einfach ausgelegten Bereich
krabbeln können.
2. Während die Tierchen sich aufwärmen, können
sie einzeln nach Flöhen, Fliegeneiern oder -
maden, Zecken usw. abgesucht werden. Diese werden je
nach Befall mit einer Pinzette oder
einer alten Zahnbürste entfernt. Sollten Verletzungen
bestehen, ist unverzüglich ein Tierarzt
zu konsultieren.
3. Nun bereitet man die Fütterung vor. Als Igelersatzmilch
hat sich Esbilac, (Firma Albrecht /
Aulendorf) das beim Tierarzt erhältlich ist, am
besten bewährt. Dabei werden jeweils 1 Teil
Esbilac mit 2 Teilen Flüssigkeit (Wasser, Fencheltee
oder Elektrolytlösung) gemischt und den
Babies mit einer Pipette oder einer Spritze (ohne Nadel)
tropfenweise eingeflößt. Die
Fütterungsmengen und Anzahl der Mahlzeiten richten
sich nach der Größe der Babies, bzw.
ihrem Gewicht. Als Faustregel kann gelten: etwa 1/3 des
Körpergewichts soll das Tierchen als
Futtermenge über 24 Stunden verteilt aufnehmen.
Dabei sollten Säuglinge mit
20g KG 8 mal etwa 0,6 ml
30g KG 8 mal etwa 1 ml
40g KG 8 mal etwa 1,4 ml
50g KG 8mal etwa 2 ml
60g KG 7 mal etwa 2,5 ml
70g KG 6 mal etwa 3,5 ml
80g KG 5 mal etwa 4,5 ml
90g KG 5 mal etwa 5,5 ml
l00g KG 4 mal etwa 6,5 ml trinken.
Bis 60g KG Fütterung auch nachts, besonders bei extrem
schwachen Tieren. (KG =
Körpergewicht)
Diese Mengen sind natürlich nur Richtwerte,
die sich je nach Beschaffenheit der Igelchen
ändern können. Da das Gewicht sehr täuschen
kann, sind auch andere Faktoren zu
berücksichtigen ( apathisches Verhalten, Schwäche,
mangelnde Futteraufnahme).
In der 1. Woche ist die Haut rosa, Augen / Ohren geschlossen.
noch keine Zähne.
In der 2. Woche ist die Haut grau, am Bauch bildet sich
Flaumhaar, Augen /Ohren noch
geschlossen, Zähne noch nicht.
In der 3. Woche ist die graue Haut mit dichtem Flaum
bedeckt, Augen / Ohren öffnen sich.
Gegen Ende der 3. Woche stoßen die Zähne durch.
Igelbabies werden mit weißen Stacheln geboren.
Ab der 2. Woche kommen dunkle Stacheln
dazu.
Da der Igelfinder normalerweise nicht gleich Esbilac
im Hause hat, kann er zunächst (aber nur
vorübergehend) reinen Fencheltee lauwarm einflößen,
bis über einen Tierarzt Esbilac besorgt
wurde. Für etwas größere Babies ( ab
50g KG ) kann man vorübergehend laktosearme
Katzenmilch futtern, die in zoologischen Handlungen erhältlich
ist. Aber auch da sollte man
bald auf Esbilac umstellen. Die Igelkinder werden zur
Fütterung mit dem Rücken in eine Hand
gelegt, mit dem Daumen gehalten und mit der anderen Hand
gefuttert. Manche Tierchen
mögen es lieber, in der Hand auf ihren Füßchen
zu stehen und mit nach oben gerecktem Kopf
zu trinken. Das Treten mit den Vorderbeinen ist eine
normale Reaktion, da es bei der Mutter
den Milchfluß anregt. Es ist nicht als Abwehr oder
Zeichen von Sättigung anzusehen. Sind die
Igelchen farblich gleich, so empfiehlt sich eine Markierung
(z.B. mit Nagellack), um sie
unterscheiden zu können. Das ist wichtig fur die
Gewichtskontrolle.
4. Zu jeder Aufnahme von Futter gehört auch die Abgabe
von Kot und Urin. Die Igelmutter
leckt zu diesem Zweck Bäuchlein und After und nimmt
die Ausscheidungen auf Der
Igelpfleger muß mit dem Finger oder einem Wattestäbchen,
jeweils mit Öl angefeuchtet, After
und Bäuchlein massieren, bis sich Erfolg einstellt.
Dann wird der After nochmals mit Öl
gereinigt. Natürlich werden auch Nahrungsreste an
Schnäuzchen und Brust mit feuchtem
Zellstoff entfernt. Nach jeder Fütterung, Entleerung
und Reinigung legt man die Babies in ein
„Ersatznest". So hat man die Gewähr, dass jedes
Tierchen versorgt wurde. Man kann nun in
Ruhe die Wärmflasche frisch füllen und die
beschmutzten Tücher wechseln. Dann werden die
Igelkinder wieder in ihr richtiges Nest umquartiert,
wo sie bis zur nächsten Mahlzeit schlafen
können.
5. Ab einem Gewicht von etwa 90 - 100g beginnt man, die
Igelchen an selbständige
Nahrungsaufnahme zu gewöhnen. Man füttert zunächst
weiter in der Hand mit einem kleinen
Löffelchen und stellt ihnen dann auch das Esbilac
in einem flachen Schälchen (zusätzlich zur
eigentlichen Fütterung) hin. Damit die Igelchen
besser satt werden, setzt man dem Esbilac
nach Vorschrift bereitete Reisflocken zu ( Reformhaus
oder Diätabteilung). An festere
Nahrung gewöhnt man die Kleinen, wenn man dem Esbilac
im Schälchen zunächst etwas
zerkleinerte Eierplätzchen oder auch gleich zerkleinertes
Dosenfutter fur Katzenkinder oder
etwas Rührei beimischt. Wenn dieses festere Futter
gut angenommen wird, reduziert man
allmählich das Esbilac und stellt zusätzlich
ein Schälchen mit Wasser bereit. Man kann dann
zerkleinertes Dosenfutter für Tierkinder mit etwas
gestocktem Ei, (nie roh, wegen
Salmonellengefahr) etwas angebratenes Hackfleisch und
auch weitere Sorten von Dosenfutter
für Hunde- oder Katzenkinder anbieten. Jeder Igelpfleger
wird schnell herausfinden, welche
Nahrung die Kleinen bevorzugen. Zusätzlich fügt
man dem Futter täglich etwas Futterkalk
(Vitakalk) und einen Tropfen Multivitamin bei. Stückchen
von süßem, weichem Obst
(Banane, Birne)....) versorgen die Kleinen mit frischen
Vitaminen.
6. Sollten trotz peinlich sauberer Versorgung und gewissenhafter
Fütterung Probleme
auftauchen, sollte man nicht warten, sondern schnell
Rat bei Tierärzten oder Igelstationen
einholen.
1. Absuchen : Verletzungen dem Tierarzt
vorstellen. Fliegeneier und -maden gründlich entfernen,
denn jedes verbliebene Ei ist am nächsten Tag eine Made, die sich
in die Haut frißt.
2. Blähbäuche: Oft durch Fütterungsfehler,
falsche Milch oder Sahne, bzw. Entleerungsprobleme entstanden. Fenchel
- oder Kümmeltee kann in leichten Fällen helfen, ebenso Massage
des Bäuchleins. Oft kommt leider jede Hilfe zu spät.
3. Durchfälle: Bei leichtem Durchfall kann
man eine halbe aufgelöste Kohletablette oder etwas Stullmisan (vom
Tierarzt ) in die nächsten beiden Mahlzeiten mischen. Hält der
Durchfall länger als einen Tag an, sofort zum Tierarzt, da Darminfektionen
vermutet werden können, die antibiotisch behandelt werden müssen.
4. Fieber: Fühlt der Igel sich wärmer
als normal an, hat ein trockenes Näschen und eventuell Husten oder
Röcheln, besteht Verdacht auf Lungenentzündung. Sofort zum Tierarzt
bringen, da Behandlung mit Antibiotika nötig ist.
5. Flöhe : Tuch mit Flohspray anfeuchten
und Igelchen kurze Zeit einwickeln
( Vorsicht! Gesicht nicht!)
6. Mangelkrankheiten: Sind durch Tierärzte
zu beheben,
Vitamin -A - Mangel - Hautkrankheiten, massiver
Stachelausfall
Vitamin - B - Mangel - Lähmungen, Krämpfe -
zu wenig Auslauf
Vitamin - C - Mangel - Zahnfleischerkrankungen
Vitamin - D - Mangel - Rachitis
7. Schwäche : Entweder Infusion beim Tierarzt
oder Aminin bzw. Boviserin ( vom Tierarzt) dem Futter beimengen.
8. Unruhe: Nest entweder zu warm oder zu kalt
- Abhilfe schaffen. Einsamkeit - in die Hand nehmen, streicheln, evt. Bäuchlein
massieren. Zusätzlich eventuell ein Globuli C 30 Ignatia (3 bis 5
Tage lang) ab 200g KG frühestens.
9. Verstopfung : 1 bis 2 Tropfen gutes Öl
mit der nächsten Mahlzeit verabreichen. Bäuchlein
massieren
10.Würmer: Befall mit Innenparasiten ist
praktisch kaum möglich, wenn die Igelchen noch nicht selbst Lebendfutter
gefressen haben. Erst dann wäre frühestens nach drei Wochen (Präpatenz)
eine Wurmfeststellung und gezielte Behandlung nach Kotuntersuchung sinnvoll.
11 .Zecken : Mit Pinzette oder Zeckenzange entfernen.
Vorsicht, Zeckenkopf nicht abreißen. Bei Massenbefall Tierarzt oder
Igelstation befragen.
Kurze Zusammenfassung:
1. Aufnahme - Igelsäuglinge, die tagsüber
umherirren, bzw. sicher ohne Mutter sind.
2. Unterbringung - Zugedeckt auf handwarmer umwickelter
Wärmflasche.
3. Futter - Ersatzmilch Esbilac, mit Fencheltee
oder Wasser angerührt, notfalls zunächst nur
Fenchel -oder Kamillentee.
4. Futtermenge - am ersten Tag wenig, vorsichtig
mit Pipette oder Spritze (ohne Nadel).
Futtermenge etwa 25 - 30% des Körpergewichts über
24 Stunden verteilt.
5. Toiletting - nach jeder Mahlzeit Bauch und
After massieren ( mit Öl), bis Entleerung
eintritt. After nochmals mit Öl reinigen, Futterreste
von Schnauzchen mit feuchtem Zell-
stoff entfernen
6. Gewichtskontrolle - sollte anfangs täglich
erfolgen. Zunahme bis 100g Körpergewicht
täglich etwa 5g, über 100g etwa 8 – 10g täglich.
Bei Gewichtsabnahme oder Futterverwei-
gerung unverzüglich Tierarzt konsultieren.
7. Krankheiten und Probleme - siehe Aufstellung.
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